Suchen

Dagmara Kraus. Ränder 11

Play
Ränder

„drei sprachen sind zu groß für deinen mund, mein kind
kau dir an der kruste hier muskeln an, nimm“

Gespräch

„drei sprachen sind zu groß für deinen mund, mein kind
kau dir an der kruste hier muskeln an, nimm“

So heißt es in Dagmara Kraus’ jüngstem Gedichtband liedvoll, deutschyzno, der 2021 bei kookbooks erschienen ist.

liedvoll, deutschyzno moja

1

millionen flüchtige wörter stehen an
der grenze zu diesem gedicht
die beine in den bauch sich
schlange an der grenze
dunkle wörter, dunkle fremde
suchen nach zuflucht, wollen hier wohnen
verjaschmakt, betschadort, da warten
mummen von jenseits der pole
es sind welche von ungarn gekommen
zupełnie niedeutschałe słowa
drängen sich hier in die futura
ręce błagają, bebeten die grenzen
deine, deutschyzno moja

2

aber was soll ein gedicht mit den millionen
flüchtigen wörtern nur anfangen

es könnte mit ihnen kickern gehen
schlägts kickern vor
sie einladen zu bier, püree und kohlrouladen
oder mal ne reise machen an ein schönes wort
und ihnen die gegend zeigen, gegend

es könnte millionen wörter einfach schweigen
und müsste jetzt nicht gründeln, mörtel, münze
wrack und wub erleiden, schlackern, lecker
mords- und mergel – wiesz
es könnte wieder flippern wie am rastplatz
weil die zeit lang wird
und mit der tinka auffe kirmes gehn
sich in die zukunft sehen lassen
vom pinken clafoutisschafott im pelz

es könnte schützenfest und adlerschuss verpassen
und an der lippe laufen, wo die mimik hüpft
dann am frühen winkelwasser
in schnöden reimen kurz verschnaufen

auch könntes doch ins olle haus
das haus am halben mond 1iehen
und dem fallmann hin und wieder
den fadengang von buche andiktieren
(er soll ihn immer mit zwei fingern nachfahren)

dabei könntes aus dem kickern ’skern
und all den kiciuśkitsch entfernen
und stattdessen andere wörter weiden
vielleicht fremde wörter heimen
raffig, diese flüchtigen, mehrbarwigen
die völkerball in föderalen hallen spielen
– aber millionen

abermillionen

doch bleibts bloß ein kern am kitsch
beim kern am kitsch

3

abgeschoben ausgespuckt
da ist etwas kleinstes blaurosa
gepuckt, wie ein taubenschluck
leise weints mitten im pulk

wo sind denn die aus dem morgenland
die drei worte mit den gaben
nix myrrhe hier
her mit dem schwarz-rot-gold

wörter aus dem buch der könige
hocken im containerdorf: umfwörter
aus saba, noch milchschorf im haar
labern babel

Über diese Sprachen haben wir gesprochen, über das Anfangen, über Lektüren und wir haben gesprochen über den Zusammenhang von Übersetzen und Schreiben.

Wir sind bei Emil Cioran gelandet, über den Dagmara Kraus einst wissenschaftlich gearbeitet hat, bei den Plansprachen, um die es auch schon in der ersten Folge dieses Podcasts, im Gespräch mit Clemens Setz ging. Wir sind den Verfahren nachgegangen, mit denen Dagmara Kraus schreibt, dem Material, dem flüsternd lauten Schreiben.

Dagmara Kraus hat Komparatistik und Kunstgeschichte in Leipzig, Berlin und Paris studiert sowie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2012 veröffentlichte sie bei kookbooks ihren Debütband kummerang. Im selben Jahr erschienen unter dem Titel Wir Seesterne ihre Übersetzungen von Gedichten Miron Białoszewskis. Zahlreiche Lyrikbände und Übersetzungen sind seitdem gefolgt. Seit 2021 ist sie Juniorprofessorin für literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim.

Theorien tanzen

Folge 11